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Tourette-Syndrom

Überblick

Synonyme: Gilles de la Tourette-Syndrom, Tourettestörung, TS

Das Tourette-Syndrom ist eine neurologische Erkrankung, welche durch Tics charakterisiert ist. Tics sind plötzlich einsetzende, rasche Muskelzuckungen oder Lautäußerungen. In den Symptomen variiert das Tourette-Syndrom stark und genau diese Vielfalt der auftretenden Tics zeichnet die Erkrankung aus. In den meisten Fällen geht das Tourette-Syndrom mit Verhaltensstörungen einher.
Wie viele Menschen unter dem Tourette-Syndrom leiden, kann man nur sehr ungenau schätzen, da nicht alle Tics erkannt oder behandelt werden. Die Prävalenz liegt in der Allgemeinbevölkerung zwischen 0,03 und 1,6 Prozent (der große Unterschied besteht aufgrund verschiedener Erhebungsmethoden), in Deutschland gibt es wahrscheinlich mehr als 40 000 Betroffene.

Ursache

Wodurch das Tourette-Syndrom hervorgerufen wird, ist noch unbekannt. Nach aktuellen Studien geht man davon aus, dass verschiedene Botenstoffe im Gehirn („Neurotransmitter“) die Verursacher sein können. Der Stoffwechsel der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin ist wahrscheinlich gestört, wahrscheinlich sind diese Störungen in den Bereichen von Thalamus, Hypothalamus und limbischen System lokalisiert – wo sich der Sitz von den grundlegenden instinktiven Faktoren einer Persönlichkeit befindet.
Man nimmt an, dass das Tourette-Syndrom auch vererbt werden kann, das fehlerhafte Gen kennt man jedoch noch nicht. Mit welcher Häufigkeit die vererbten Tics zur Ausprägung kommen, ist auch unbekannt. Jungen sind bis viermal häufiger von der Erkrankung betroffen als Mädchen.
Faktoren wie Umwelteinflüsse oder auch Entzündungen im Gehirn können Tics begünstigen.

Symtome

Tics

„Tic“ kommt aus dem Französischen und bedeutet Gesichts- oder Nervenzucken.
Tics sind plötzliche, sich wiederholende, arhythmische und gleichbleibende Bewegungen, welche sich nur schwer unterdrücken lassen. Motorische Tics sind Muskelbewegungen (meist im Gesichts- oder Kopfbereich), vokale Tics dagegen immer wieder erzeugte Laute oder ständig wiederholte Worte und Phrasen. Es gibt viele verschiedene Formen von Tics, die man je nach ihrer Art in einfache und komplexe Tics klassifizieren kann.
Zu den einfachen motorischen Tics gehören z.B. Augenzwinkern, Kopfschütteln, Schulterzucken oder Grimassen. Einfache vokale Tics sind z.B. Räuspern, Zungenschnalzen, Husten, Stöhnen und andere hervorgebrachte Laute. Nicht immer sind diese einfachen Tics so auffällig, dass man hinter ihnen eine Krankheit vermuten würde. Augenzwinkern oder Räuspern werden häufig als Nervositätszeichen verkannt.
Unter komplexen motorischen Tics versteht man koordinierte Bewegungen verschiedener Muskelregionen, diese können teilweise sehr grotesk wirken. Dazu gehören ständiges Brillenauf- und -absetzen, Hüpfen, wilde Armbewegungen, ständiges Berühren von anderen Menschen und sogar selbstgefährdende Handlungen wie das ständige Stoßen des Kopfes gegen eine Wand. Es gibt verschiedene Bezeichnungen dieser komplexen motorischen Tics. Unter Echopraxie versteht man das Nachahmen von Bewegungen anderer Personen, Kopropraxie ist das Ausführen obszöner Handlungen (wie das Anfassen des eigenen Genitalbereiches). Als Touching bezeichnet man das ständige Berühren einer anderen Person (leichtes Antippen, manchmal jedoch auch Berühren des Genitalbereichs oder der Brust). Zu den komplexen vokalen Tics gehören das wiederholte Aussprechen von Wörtern oder Sätzen. Meist sind die vokalen Tics weniger ausgeprägt als die motorischen, sie treten trotzdem bei jedem Leiden unter dem Tourette-Syndrom auf. Echolalie ist das Wiederholen von Lauten, Wörtern oder Sätzen, welche gerade gehört worden sind. Wenn selbst erdachte Silben oder Wörter wiederholt werden, spricht man von Palilalie. Koprolalie bezeichnet eine zwanghafte Neigung zu Schimpfwörtern oder vulgären Ausdrücken aus der Fäkalsprache.

Die vielen Formen der Tics können verschieden kombiniert und in unterschiedlicher Intensivität auftreten. Daher kann man schlecht von „allgemeinen“ Symptomen sprechen. Außerdem können sich die Tics im Laufe der Zeit ändern, einige nehmen ab, andere kommen hinzu – die Erkrankung kann ihr Erscheinungsbild wandeln.
Klinisch zeigt sich, dass die Tics unvermeidbar sind, jedoch für eine unterschiedlich lange Zeit unterdrückt werden können. Der Tic ist wie ein Zwang, von Betroffenen wird beschrieben, dass es eine Art „Dranggefühl“ gibt, welches nach dem Tic nachlässt. Daher ist es anstrengend und verlangt viel Konzentration, die Tics zu unterdrücken. Man kann sich diesen Drang ungefähr wie Schluckauf vorstellen. Bei manchen Patienten kündigt sich ein Tic durch Missempfindungen wie Jucken oder Kribbeln an, welche durch das Ausführen des Tics gelindert werden können.
Unter hoher Konzentration können die Tics nachlassen, häufig verschlimmern sie sich allerdings bei Stress, Anspannung und Nervosität. Auch während des Schlafes können sie auftreten, weshalb der Schlaf von Betroffenen oft gestört ist.
Zu den Tics kommen typischerweise Zwangshandlungen- und -gedanken hinzu. Patienten berichten, dass sie eine bestimmte Handlung immer wiederholen müssen. Diese Handlungen können sehr unterschiedlich sein, dazu gehören das Ordnen und Arrangieren von Dingen, oder das Zählen bestimmter Aktivitäten (z.B. fünfmaliges Abschließen der Tür). Es gibt aber auch autoagressive Zwangshandlungen, wie z.B. das Ausdrücken einer Zigarette auf der Haut. Unter Zwangsgedanken versteht man das sich ständig wiederholende Durchdenken einer Idee, der Betroffene kann sich nicht mehr auf andere Dinge.
Bestimmte Handlungen müssen auf eine ganz bestimmte Art und Weise durchgeführt werden: Erst wenn ein Gegenstand auf eine ganz bestimmte Stelle mit einer ganz bestimmten Bewegung gestellt wurde, ist der Betroffene innerlich befriedigt. Solange der Gegenstand jedoch nicht mit der „genau richtigen“ Bewegung auf den „genau richtigen“ Ort gestellt wurde, wird der Vorgang wiederholt. Dies kann an Perfektionismus erinnern, ist aber ein Symptom der Erkrankung.
Hinzu kommen vor allem bei Kindern Aufmerksamkeitsprobleme, Aufgaben werden nicht zu Ende geführt, die Kinder sind unruhig und wechseln plötzlich zwischen verschiedenen Aktivitäten. Die Kinder können unter einer Lern- und Leseschwäche leiden oder Sprachstörungen haben. Aber auch musikalische und künstlerische Talente können sehr ausgeprägt sein, die Betroffenen sind häufig extrem pünktlich, haben ein gutes Zahlengedächtnis und mathematisches Verständnis.

Diagnose

Die Diagnose wird anhand der klinischen Symptome von einem Neurologen oder Psychiater gestellt. Dabei gibt es folgende Kriterien für das Tourette-Syndrom: Es müssen verschiedene motorische Tics und mindestens ein vokaler Tic auftreten. Häufig wechseln die Tics und verändern sich im Laufe der Erkrankung. Die Tics setzen meist zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr ein, müssen aber vor dem 21. Lebensjahr aufgetreten sein. Die Betroffenen leiden mindestens ein Jahr unter diesen Tics.
Zur Diagnosestellung müssen andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Um die Tics nach ihrem Schweregrad einzuordnen, gibt es unterschiedliche Fragebögen und Skalen.

Therapie

Eine Therapie gibt es momentan noch nicht. Es können zwar verschiedene Medikamente gegen die Symptome verschrieben werden, diese führen jedoch zu keiner vollständigen Heilung. Oft werden die Tics mit der Pubertät stärker, zu 70 Prozent nehmen sie aber im Alter ab. Die Betroffenen haben eine durchschnittliche Lebenserwartung, aber es fällt ihnen oft sehr schwer, ihr Leben mit den Tics zu meistern.

Leben mit Tics

Oft werden Patienten mit Tourette-Syndrom nicht verstanden. Sie wirken auf ihr Umfeld abschreckend, wenn sie, weil sie gerade freudig erregt sind, wild mit den Armen schlagen oder obszöne Witze machen. Daher ist es wichtig, dass das Umfeld eines Betroffenen über die Besonderheit der Krankheit informiert ist und lernt, die Person zu achten wie sie ist. Hinter den Tics kann sich eine humorvolle Person mit Charakterstärke und Realitätssinn verstecken – man sieht dies nur nicht, da die Tics „ablenken“. Die Patienten mit Tourette-Syndrom leiden selber darunter, Dinge zu tun, die sie nicht beabsichtigen oder kontrollieren können. Und so abwegig es klingt, manche Tics haben auch positive Seiten. Es gab zum Beispiel einen amerikanischen Schlagzeuger, der zwar unter vielen schweren Tics litt, aber so reaktionsschnell, kreativ und virtuos war, dass er ein angesehener Jazzmusiker war.
Der amerikanische Neuropsychologe Oliver Sacks hat in seinem Buch „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, das nicht nur für Experten, sondern auch für medizinische Laien empfehlenswert ist, sehr einfühlsam über Menschen mit Tics und anderen Störungen berichtet.

 

Adressen zum Thema "Tourette-Syndrom"

Kliniken: 2 Einträge

Patientenverbände: 3 Einträge

Selbsthilfegruppen: 3 Einträge

 

 



 

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