Muskeldystrophie
Überblick
Bei der Muskeldystrophie handelt es sich um eine genetisch vererbte Muskelerkrankung, bei der das Muskelgewebe nach und nach schwindet. Der Rückgang des Muskelgewebes ist jedoch nicht durch eine Erkrankung der die Muskeln anregenden Nerven, sondern durch eine Veränderung des Muskelgewebes selbst bedingt. Es gibt über 30 verschiedene Formen von Muskeldystrophie, welche sich nach Erbgang, Verlauf, beginnender Körperregion und Erkrankungsalter unterscheiden lassen. Die beiden häufigsten Formen sind die Typen Duchenne und Becker-Kiener. Da beide Krankheiten x-chromosomal vererbt werden, erkranken fast nur Jungen daran, weil Mädchen ein zweites, gesundes X-Chromosom zum Ausgleich haben. Der Typ Duchenne ist die häufigste muskuläre Erbkrankheit, die bereits bei kleinen Kindern auftritt. Sie beginnt mit einer Schwäche in der Becken- und Oberschenkelmuskulatur und verläuft immer tödlich. Daher wird sie auch die maligne oder bösartige Form genannt. Der Typ Becker-Kiener ist die seltenere Form, die später beginnt und aufgrund des wesentlich leichteren Krankheitsverlaufes auch die benigne oder gutartige Form genannt wird.
Ursachen
Muskeln haben für den menschlichen Organismus eine sehr große Bedeutung, da sie nicht nur Bewegungen wie Laufen oder Schreiben ermöglichen, sondern auch die Atmung, die Energieaufnahme durch die Verdauung oder das Sehen ermöglichen. Ein Ausfall großer Muskelgruppen kann lebensbedrohlich sein. Ein Muskel ist durch Sehnen am Knochen befestigt. Der Muskel selbst lässt sich unterteilen in Muskelfaserbündel und Muskelfasern, welche die eigentlichen Muskelzellen sind. Um eine Bewegung auszulösen, ziehen sich die einzelnen Muskelzellen zusammen und somit der ganze Muskel. Es gibt in der Muskelzelle Elemente, welche sich gegeneinander verschieben können und die Muskelzelle so, ähnlich einem Fernrohr, welches man zusammen schiebt, verkürzen (Kontraktion). Der Muskeldystrophie liegt eine Veränderung in den Zellen des Muskelgewebes zugrunde. Die Muskelschwäche wird durch den Rückgang der Muskelzellenanzahl bedingt. Die durch den Zelluntergang entstehenden, von Muskelzellen „leeren“ Bereiche werden von nicht kontraktionsfähigem Bindegewebe aufgefüllt. Außerdem kommt es zu einer Vergrößerung der wenigen, noch vorhandenen Muskelzellen, da sie versuchen, das Zelldefizit durch vermehrtes Wachstum auszugleichen. Ausgelöst werden die Fehlreaktionen durch genetische Funktionsstörungen. Der Gendefekt befindet sich auf einem X-Chromosom, wird also durch ein Geschlechtschromosom vererbt. Durch diesen Defekt werden bestimmte für den Muskel wichtige Eiweiße in unzureichender Menge oder gar nicht gebildet. Da das Muskelgewebe diese Proteine nicht bekommt, bildet es sich zurück.
Symptome
Duchenne-Muskeldystrophie
Bei dieser Form der Muskeldystrophie fehlt auf dem Chromosom 21 die Information zum „Bau“ des Proteins Dystrophin, einem wichtigen Bauelement der Muskelzelle. In Folge dessen treten schon ab dem ersten bis zweiten Lebensjahr Störungen der motorischen Fähigkeiten auf. Die Kinder haben Probleme mit dem Laufen bzw. mit dem Erlernen des Laufens, sie stolpern häufig und stützen beim Aufstehen die Händen auf die Knie. Am schwersten sind die Becken- und Oberschenkelmuskeln betroffen, aber auch andere Muskelgruppen. Im Verlauf der Erkrankung verlieren nach und nach alle Muskelgruppen ihre Kraft. Ab dem fünften bis zum siebten Lebensjahr ist das Treppensteigen und Aufstehen aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe kaum mehr möglich. Verursacht wird dies durch die ab diesem Zeitpunkt in Mitleidenschaft gezogene Arm- und Schultermuskulatur. Mit sieben bis zwölf Jahren sitzen viele Kinder bereits im Rollstuhl und können die oberen Extremitäten nicht mehr vollständig bewegen. Die Mehrheit der Betroffenen ist bereits im Alter von 18 Jahren so geschwächt, dass sie vollständig auf fremde Pflege und Hilfe angewiesen sind. Ein charakteristisches Merkmal dieser Muskeldystrophie sind die Gnomen- oder Kugelwaden. Sie bilden sich aufgrund des Fett- und Bindegewebes, das beginnt, das Muskelgewebe zu ersetzen. Weiterhin auffallend ist, dass die Schulterblätter wie Flügel vom Rumpf abstehen. Hinzu kommen andere Probleme wie Erkrankungen des Herzmuskels, Nachtblindheit, Gelenkkontrakturen, Krümmung der Wirbelsäule und häufig eine geistige Verlangsamung. Durch das Erkranken des Herzmuskels oder den Ausfall der Atemmuskulatur sterben viele Patienten an Herzversagen oder sie ersticken. Von Duchenne-Dystrophie Betroffene haben eine stark eingeschränkte Lebenserwartung und werden meist nicht älter als 20 bis 25 Jahre.
Becker-Kiener-Muskeldystrophie
Im Gegensatz zur Duchenne-Muskeldystrophie wird beim Typ Becker-Kiener Dystrophin vom Körper synthetisiert, jedoch nur halbfunktionelles Dystrophin. Es ist verkürzt und liegt in geringerer Menge vor. Dadurch verläuft die Krankheit nicht so drastisch wie die Duchenne- Form. Es treten aber ähnliche, abgeschwächte Symptome ohne geistige Behinderung auf. Auch hier liegt die Ursache für die Störung in einem Defekt des Chromosoms 21. Die Kinder erkranken zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr und die Krankheit verläuft langsam fortschreitend. Sie beginnt bei der Becken- und Oberschenkelmuskulatur. Im Gegensatz zum Typ Duchenne ist es den Patienten mit Becker-Kiener-Dystrophie möglich, bis ins Erwachsenenalter (manchmal sogar bis zum Alter von 60 Jahren) uneingeschränkt zu gehen. Die Lebenserwartung kann jedoch eingeschränkt sein, da auch hier Herzmuskel und Atemmuskulatur angegriffen werden.
Diagnose
Zur Diagnosestellung wird eine ausführliche Anamnese durchgeführt, dabei werden Beginn der Beschwerden, eventuelle familiäre Dystrophieerkrankungen und die Verhaltensweisen des Kindes aufgenommen. Bei der körperlichen Untersuchung stehen symmetrische Muskelschwächen, Haltung des Kindes, Bewegungsvorgänge und Atmung im Vordergrund. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie Sonographie oder Magnet-Resonanz-Tomographie lässt sich die Muskeldystrophie nachweisen und durch eine DNA-Analyse kann der Typ festgestellt werden. Außerdem kann Muskelgewebe entnommen und mikroskopisch untersucht werden, das nennt man Muskelbiopsie. Im Falle einer Muskeldystrophie wäre die Anzahl der Muskelzellen verringert und zwischen den wenigen übrigen, vergößerten Muskelzellen würde sich viel Bindegewebe befinden. Es gibt in den Muskelzellen ein Enzym, welches für die Energiebereitstellung verantwortlich ist, denn ein Muskel benötigt für die Kontraktion viel Energie. Dieses Enzym, die Kreatinkinase (CK), kann im Blut gemessen werden. Bei Muskeldystrophien ist der CK-Wert erhöht, da aufgrund der fehlenden Muskelzellen keine Kontraktion ausgeführt werden kann. Der Körper aber „denkt“, es fehle die Energie zur Muskelarbeit und produziert daher viel energiebringendes CK. Oft sind diese Enzyme schon vor dem Auftreten der Symptome erhöht, so dass man bereits anhand von Nabelschnurblut die Diagnose stellen kann. Um zu unterscheiden, ob die Ursache für die Muskelschwäche am Muskel selbst liegt oder an den Nerven, die zum Muskel führen, können auch spezielle Tests gemacht werden. Ein Nervenende setzt am Muskel an und löst durch ein Signal die Muskelkontraktion aus. Wenn aber das Signal vom Nerv nicht zum Muskel geleitet wird, kann dieser nicht kontrahieren. Daher muss der untersuchende Arzt unterscheiden, ob der Muskel an sich erkrankt ist oder der dazugehörige Nerv.
Therapie
Die Ursache der Muskeldystrophie ist nicht heilbar, durch eine Kombination verschiedener Therapieformen kann der Allgemeinzustand jedoch verbessert und der allmählichen Verschlechterung des Zustandes entgegengewirkt werden. Dabei stehen physio- und ergotherapeutische sowie logopädische Behandlungen im Vordergrund. Außerdem kann der Muskelstoffwechsel durch Injektion von Kreatin angeregt werden, Ribonukleinsäuren stabilisieren die Muskulatur. Es gibt verschiedene Forschungen zu neuen Therapiemethoden, Hoffnungen setzt man neuerdings auf das Utrophin, das in anderen Geweben des Körpers vorkommt und dort die Funktion des Dystrophins übernimmt.
Prognose
Die Krankheitsverläufe sind unterschiedlich. Der Typ Duchenne führt immer zum Tod im frühen Erwachsenenalter. Weitere Formen der Muskeldystrophie verlaufen zwar ebenfalls chronisch, aber wesentlich langsamer und mit weniger schwerwiegenden Symptomen.
Adressen zum Thema "Muskeldystrophie"Kliniken: 3 Einträge Rehabilitationseinrichtungen: 1 Eintrag Patientenverbände: 16 Einträge Selbsthilfegruppen: 13 Einträge
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